Fitness, Gesundheit | Autor/in: Patrick Berndt |

Emerging Strategies im Personal Training

Trainingsinhalte werden üblicherweise für mehrere Wochen im Voraus geplant. Da die individuelle Entwicklung der Trainierenden jedoch nicht vorhersehbar ist, muss die Effektivität eines starr im Voraus geplanten Trainings kritisch hinterfragt werden. Wie man Trainingsinhalte tagesform- und entwicklungsabhängig auswählt und steuert, wird nachfolgend erläutert.

Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit und der Tagesform der Kundinnen und Kunden bei der Trainingsplanung

Die systematische und zielgerichtete Planung des Krafttrainings erfolgt in der Fitness- und Gesundheitsbranche üblicherweise im Sinne einer Blockperiodisierung. Hierbei wird die langfristige Trainingsplanung (= Makrozyklus) in einzelne Blöcke bzw. Mesozyklen untergliedert, in denen jeweils spezifische Trainingsziele durch Anwendung entsprechender Trainingsmethoden verfolgt werden (Stone et al., 2021).

Kritische Betrachtungsweise des 'Top Down Approach' – die beste Methode?

Bei dieser Vorgehensweise werden bereits vor Beginn des jeweiligen Mesozyklus alle Inhalte und Belastungsparameter im Trainingsplan fixiert und erst nach dessen Ende evaluiert, wie effektiv die Planung war und wie die Trainierenden individuell damit zurechtgekommen sind.

Die Trainingsplanung erfolgt hier also vom übergeordneten Makrozyklus ausgehend 'nach unten', wobei verschiedene Methoden auf feststehende Blöcke bzw. Mesozyklen aufgeteilt und erst am Ende des Planungsprozesses die Inhalte der einzelnen Trainingseinheiten bzw. Mikrozyklen definiert werden, weshalb man hierbei auch vom sogenannten Top Down Approach spricht (vgl. Abb. 1). 

Wie durch mehrere Untersuchungen bestätigt werden konnte, variiert die Anzahl realisierbarer Wiederholungen bei gleicher Belastungsintensität teilweise sehr stark zwischen verschiedenen Personen (Iglesias, Boullosa, Dopico & Carballeira, 2010; Shimano et al., 2006).

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit derselben Person an unterschiedlichen Tagen sowie zu unterschiedlichen Tageszeiten stark variieren kann (Knaier et al., 2019; Knaier et al., 2022).


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Eine starre Vorgabe von Belastungsparametern ohne Überprüfung und Berücksichtigung der individuellen, tagesformabhängigen Reaktion auf selbige, birgt demnach immer das Risiko, unbemerkt eine Unter- oder Überforderung hervorzurufen.

Dadurch besitzt diese Vorgehensweise nur ein geringes Maß an Flexibilität und Individualität, die beispielsweise in der Eins-zu-eins-Betreuung im Personal Training als entscheidendes Qualitätsmerkmal gilt.

Flexible Periodisierung mit Emerging Strategies

Bei den Emerging Strategies handelt es sich um einen flexiblen Periodisierungsansatz, der ursprünglich von Mike Tuchscherer für die Trainingsbetreuung von Powerliftern entwickelt wurde. Die dabei zugrunde liegende Idee war, einen Steuerungsansatz zu erschaffen, bei dem sich die Trainingsinhalte dynamisch an die individuelle Entwicklung und Tagesform anpassen, statt starren Vorgaben zu folgen.

Bei diesem Ansatz wird versucht, auf Basis kurzer Assessments und Tests vor bzw. während des Trainings Informationen zum Regenerationszustand bzw. zur aktuellen Leistungsfähigkeit zu generieren, auf deren Basis eine individualisierte, tagesformabhängige Gestaltung der Trainingsinhalte möglich wird.

Hierbei wird demnach der individuelle Erholungs- und Leistungszustand einer Person unmittelbar vor jeder Trainingseinheit bzw. jedem Mikrozyklus sowie die Leistungsentwicklung in den zurückliegenden Einheiten als Ausgangsbasis zur Auswahl und Steuerung der tagesaktuellen Trainingsinhalte verwendet.

Es erfolgt also keine starre Vorgabe definierter Trainingsmethoden, sondern eine dynamische und individualisierte Trainingsplanung, die sich ausgehend von der ersten Einheit mit den Trainierenden mitentwickelt, weshalb dieser Ansatz auch als 'Bottom Up Approach' bezeichnet wird (vgl. Abb. 1).


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Dabei wird aus unterschiedlichen Trainingsmethoden mit höherer oder geringerer Belastungsintensität sowie angepasstem Belastungsumfang jene ausgewählt, die in Abhängigkeit zur Tagesform adäquat erscheint, weshalb man diese Vorgehensweise auch als flexible wellenförmige Periodisierung bezeichnen kann (Colquhoun et al., 2017; Walts, Murphy, Stearne, Rieger & Clark, 2021).

Tagesformabhängige Trainingssteuerung

Grundlage für die Auswahl der Trainingsmethoden und -inhalte auf Basis der tagesaktuellen Verfassung ist die sogenannte Readiness. Dabei handelt es sich um ein Konstrukt, das den aktuellen Regenerations- und Leistungszustand unmittelbar vor einer Trainingseinheit widerspiegelt.

Die Erfassung der Readiness kann durch verschiedene Fragebögen und/oder Assessments vor Beginn der eigentlichen Trainingseinheit erfolgen. Als zeitsparende und praktikable Lösung bieten sich hierfür diverse Kurzfragebögen an, wie beispielsweise der Erholungs-Belastungs-Fragebogen für Sportler (EBF; Nässi, Ferrauti, Meyer, Pfeiffer & Kellmann, 2017) oder die Perceived Recovery Status Scale (PRS-Skala; Tolusso et al., 2022; Abb. 2).

Variante der wellenförmigen Periodisierung

Am Beispiel der PRS-Skala lassen sich den verschiedenen Angaben zum tagesaktuellen Regenerationsstatus unterschiedliche Trainingsinhalte zuordnen (vgl. Abb. 2). So könnte man in einer einfachen Variante der wellenförmigen Periodisierung lediglich zwei Trainingseinheiten mit unterschiedlichen Belastungscharakteristika erstellen, wobei eine der beiden Einheiten intensiver und die andere etwas weniger intensiv sein sollte.

Um eine inter- und intraindividuell angemessene Beanspruchung zu gewährleisten, sollte die Angabe einer konkreten Belastungsintensität um die Vorgabe eines subjektiven Anstrengungsgrades (Rating of Perceived Exertion [RPE]; Morishita, Tsubaki, Takabayashi & Fu, 2018) ergänzt werden.

Durch diese Kombination aus deduktiver Intensitätssteuerung und subjektiver Steuerung der Belastungsdauer wird es möglich, den Grad der muskulären Ausbelastung innerhalb eines Trainingssatzes autoregulativ zu steuern und dadurch eine versehentliche Unter- oder Überforderung zu vermeiden.


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Eine exemplarische Differenzierung der Belastungsintensität und -dauer könnte bei zwei autoregulierten Trainingseinheiten in der ersten Woche folgendermaßen aussehen:

  • Einheit A (4 Sätze pro Übung mit 85 % 1-RM @ RPE 8–9)
  • Einheit B (3 Sätze pro Übung mit 75 % 1-RM @ RPE 7)

Belastungsprogression und Zykluslänge flexibel steuern

Nachdem dargestellt wurde, durch welche Strategien und Werkzeuge die Trainingsinhalte tagesindividuell ausgewählt und gesteuert werden können, wird abschließend die Vorgehensweise zur individualisierten Steuerung der Belastungsprogression und der Zykluslänge erläutert.

Hierzu sollte in jeder Trainingseinheit, neben der Erfassung des Regenerationsstatus vor Beginn einer Trainingseinheit, unbedingt auch ein Monitoring der Leistungsdaten innerhalb des Trainings erfolgen.

Zur Überprüfung eventueller Leistungsveränderungen bietet sich beispielsweise das Monitoring des jeweils besten Trainingssatzes sowie des bewältigten Gesamtvolumens in Kilogramm pro Übung an.

Idealerweise sollte, trotz gleicher subjektiver Beanspruchung im Training, eine Steigerung der erbrachten Trainingsleistungen feststellbar sein, da sich bei steigender Leistungsfähigkeit mit der vorgegebenen Last sukzessive mehr Wiederholungen bis zum vorgegebenen Beanspruchungsgrad (z. B. RPE 8–9) realisieren lassen.

Durch die autoregulative Vorgabe der Belastungsdauer ergibt sich die Belastungsprogression demzufolge von selbst, solange eine adäquate Regeneration gewährleistet ist.


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Bleibt der erfasste Regenerationsstatus des Athleten oder der Athletin in einem angemessenen Bereich (z. B. dauerhaft ≥ PRS 6), wird das Training fortgeführt und die Belastung sukzessive erhöht, indem beispielsweise die Anzahl an Sätzen pro Übung gesteigert wird (vgl. Tab. 1).

Diese Progression wird solange fortgeführt, bis sich entweder ein suboptimales Regenerationsverhalten (Regeneration in mehreren Einheiten hintereinander < PRS 6) und/oder stagnierende bzw. rückläufige Trainingsleistungen beobachten lassen.

Tritt dies ein, sollte der aktuelle Mesozyklus beendet und eine Phase mit verringerter Trainingsbelastung zur Wiederherstellung der Regenerationskapazität und Leistungsfähigkeit (sog. Deload-Phase) eingeleitet werden.

Im Anschluss an diesen Deload sollte ein Methodenwechsel oder, im Falle eines anstehenden Wettkampfes, eine Vorbereitungsphase zur Maximierung der körperlichen Leistungsfähigkeit (alt. 'Peaking'; vgl. Abb. 1) erfolgen, um den hier vorgestellten Prozess mit einem modifizierten Belastungsgefüge erneut zu durchlaufen.

Durch dieses Vorgehen müssen sich die Trainierenden nicht einer vorab festgelegten Belastungsprogression beugen oder ein Trainingsprogramm für einen fest definierten Zeitraum beibehalten, sondern die Belastungsprogression und Zykluslänge richten sich nach der individuellen Entwicklung der Trainierenden.


Fazit

Eine flexible Trainingssteuerung und Periodisierung, wie am hier dargestellten Beispiel veranschaulicht, ermöglicht es Trainierenden, ein Trainingsprogramm so lange beizubehalten, wie dieses tatsächlich Trainingseffekte produziert, statt das Programm nach einer fest definierten Zeit abzubrechen.

Dadurch kann sichergestellt werden, dass sowohl die Belastungsprogression als auch die Zykluslänge individuell an der persönlichen Leistungsentwicklung und Regeneration ausgerichtet werden, um die Effektivität des Programms zu optimieren.

Flexible Trainingssteuerung mit qualifiziertem Personal

Darüber hinaus bietet die autoregulative Auswahl und Steuerung der Trainingsinhalte eine Möglichkeit, dynamisch auf tagesformabhängige Schwankungen des Leistungs- und Regenerationszustandes einer Person zu reagieren.

Aufgrund der Komplexität und Vielfalt der angewendeten Werkzeuge und Strategien erfordert die effektive Umsetzung eines solchen Ansatzes allerdings eine spezifische Qualifikation und vertiefte Kenntnisse im Bereich der Trainingssteuerung und des Regenerationsmanagements.


Über den Autor

Patrick Berndt, M. Sc. Sportwissenschaft, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dozent und Autor an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie an der BSA-Akademie. Als Athletik- und Personal Trainer im leistungsorientierten Sport sowie als trainingswissenschaftlicher Berater verfügt er über umfassende Praxiserfahrung und Fachkompetenz.


Auszug aus der Literaturliste

Knaier, R., Qian, J., Roth, R., Infanger, D., Notter, T., Wang, W. et al. (2022). Diurnal Variation in Maximum Endurance and Maximum Strength Performance: A Systematic Review and Meta-analysis. Medicine & Science in Sports & Exercise, 54 (1), 169–180.

Tolusso, D. V., Dobbs, W. C., MacDonald, H. V., Winchester, L. J., Laurent, C. M., Fedewa, M. V. et al. (2022). The Validity of Perceived Recovery Status as a Marker of Daily Recovery Following a High-Volume Back-Squat Protocol. International Journal of Sports Physiology and Performance, 17 (6), 886–892.

Walts, C. T., Murphy, S. M., Stearne, D. J., Rieger, R. H. & Clark, K. P. (2021). Effects of a Flexible Workout System on Performance Gains in Collegiate Athletes. Journal of strength and conditioning research / National Strength & Conditioning Association, 35 (5), 1187–1193.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Diesen Artikel können Sie folgendermaßen zitieren:

Berndt, P. (2023). Emerging Strategies im Personal Training. fitness MANAGEMENT international, 4 (168), 94-97.

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