„Langfristig gibt es für die Branche insgesamt große Wachstumschancen.“

Wie stehen die Chancen der Fitness- und Gesundheitsbranche für die Zeit nach der Pandemie? Wirtschaftsforscher Prof. Dr. Axel Plünnecke (IW) im Interview.
Lesezeit: 4 Minuten
Wirtschaftsforscher Prof. Dr. Axel Plünnecke (IW) im Interview
Wirtschaftsforscher Prof. Dr. Axel Plünnecke (IW) im Interview
Die Lage vieler Fitness- und Gesundheitsanlagen in Deutschland ist im ersten Quartal des Jahres 2021 kritisch. Nach einem Jahr mit Umsatzrückgängen und verspäteten staatlichen Hilfen fiel die zweite pandemiebedingte Schließung auf die Monate, die für die Neukundengewinnung am wichtigsten sind. Aber: Das Gesundheitsbewusstsein der Menschen hat sich verändert. Sie vermissen das Training und die Gemeinschaft in ihrem Studio und der gesellschaftliche Stellenwert von Kraft- und Cardiotraining ist inzwischen sehr viel höher als vor Corona. Wie stehen die Chancen der Fitness- und Gesundheitsbranche für die Zeit nach der Pandemie wirklich? Wir haben den Wirtschaftsforscher Prof. Dr. Axel Plünnecke vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nach seiner Einschätzung gefragt.

fM: Welche Veränderungen sehen Sie aufgrund der Pandemie im Rahmen der Gesundheitswirtschaft sowie der Prävention?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Zur Eindämmung der Pandemie wurden viele wichtige Einrichtungen geschlossen, dazu gehören die Fitness- und Gesundheitsstudios.

Zugleich nahmen durch Homeoffice und Homeschooling die Bewegungsaktivitäten stark ab. Der Mangel an Bewegung sowie die Stresssituation durch die Pandemie und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung belasten die physische und psychische Gesundheit der Menschen.

Zugleich wurden viele wichtige Maßnahmen zur Prävention unterbrochen, da die Gesundheitswirtschaft nicht präventiv tätig sein konnte. Damit ist ein gewaltiger Stau an notwendigen präventiven Maßnahmen entstanden, der auf Dauer zu sehr hohen Gesundheitseinbußen führen dürfte.

fM: Der Faktor Mensch ist für die deutsche Dienstleistungswirtschaft von hohem Stellenwert. Was bedeutet es für die Wirtschaft, wenn die Bevölkerung sich nicht mehr sportlich betätigen kann, z. B. in Fitness- und Gesundheitsanlagen?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Langfristig ist mit erheblichen Kosten für die Wirtschaft zu rechnen. Durch die Dienstleistungen der Fitness- und Gesundheitsanlagen wird die physische und psychische Gesundheit der Bevölkerung gestärkt.

Empirische Untersuchungen zeigen, dass sportlich aktive Menschen – auch bei gleichem Bildungsstand und sonst identischen Merkmalen – eine höhere Produktivität aufweisen und zu einem höheren Anteil erwerbstätig sind. Gerade Ältere stehen dem Arbeitsmarkt damit länger hochproduktiv zur Verfügung und können ihre wertvollen Erfahrungen einbringen.


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Die Corona-Krise bewirkt volkswirtschaftlich daher nicht nur kurzfristig hohe Kosten, sie belastet langfristig durch Schulschließungen die Kompetenzen der aktuellen Schülergeneration, also der künftigen Fachkräfte.

Die Schließung der Sporteinrichtungen und Fitnessanlagen senkt durch fehlende präventive Impulse die Beschäftigungsfähigkeit eines Teils der aktuell schon erwerbstätigen Generationen. Daher müssen sowohl für Schulen als auch für Sport- und Fitnessangebote Maßnahmen entwickelt werden, um diese Herausforderungen langfristig zu meistern.


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fM: Welche unternehmerischen Chancen und Herausforderungen gehen für die Fitness- und Gesundheitsbranche insgesamt sowie für die einzelnen Unternehmen damit einher? Welche Aufgabe sollte das deutsche Gesundheitssystem oder die Politik dabei spielen?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Der große Bewegungsstau sowie der Mangel an präventiven Angeboten im Lockdown führen zu einem großen Bedarf an Dienstleistungen der Fitness- und Gesundheitsbranche.

Die Politik sollte erkennen, zu welchen enormen langfristigen Kosten Schulschließungen und Schließungen in der Fitness- und Gesundheitsbranche führen. Sie sollte daher in beiden Bereichen massiv investieren, um die dauerhaft negativen Effekte auf das Arbeitsangebot vor dem Hintergrund des demografischen Wandels zu reduzieren.

Krankenkassen und Unternehmen werden langfristig vom Bewegungsmangel der Mitglieder bzw. Mitarbeiter auch betroffen sein und haben Anreize, in Prävention und mehr Betriebliches Gesundheitsmanagement zu investieren. Die Branche kann gezielte Angebote für diesen Bedarf entwickeln.

fM: Sehen Sie im gestiegenen Gesundheitsbewusstsein der Deutschen eine Chance für ein weiteres Wachstum der Mitgliederzahlen in den Fitness- und Gesundheitsanlagen?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Dieser Trend hilft in jedem Fall. Bildung und Gesundheit haben in den letzten Jahren gesellschaftlich an Bedeutung gewonnen. Empirisch zeigt sich, dass Bildung und sportliche Aktivität die Einkommens- und Karrierechancen sowie auch das Lebensgefühl positiv beeinflussen. In den letzten 20 Jahren hat sich im Zuge dieses Trends die Akademikerquote in Deutschland verdoppelt.


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Auch beim Anteil der Mitglieder in Fitness- und Gesundheitsanlagen an der Bevölkerung ist weiteres Wachstum zu erwarten. Dazu zeigt die Forschung zu Altersbildern, dass ein Wandel in Richtung mehr Aktivität in den letzten Jahren stattgefunden hat. Auch hier bestehen weitere Wachstumschancen.

fM: Wie wird sich der Fitness- und Gesundheitssektor nach der Krise weiterentwickeln?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Im Moment ist die Frage hochrelevant, welche dauerhaften Effekte durch die Corona-Krise zu erwarten sind.

Verändert der während der Pandemie zu beobachtende Digitalisierungsschub die künftige Wirtschaftsstruktur? Werden zum Beispiel weniger Dienstreisen und Tagungen in Hotels durchgeführt, da man sich zu größeren Anteilen in Videokonferenzen austauscht? Verändern Streaminggewohnheiten die Nachfrage nach Filmen in Kinos? Was wird aus dem Einzelhandel in den Innenstädten, wenn Kunden positive Erfahrungen mit dem Online-Handel gemacht haben? Gab es also in der Krise Substitute, die nach der Krise Risiken für das Geschäft bedeuten?

In der Gesundheitsbranche ist sicher der persönliche Kontakt zum Dienstleister besonders wichtig und in gleicher Qualität nicht so leicht zu substituieren. Dazu besteht, wie beschrieben, ein gewaltiger Bewegungs- und Präventionsstau.

Es wird durch die Krise im Markt kurzfristig harten Überlebensdruck für die einzelnen Unternehmen geben. Langfristig bedeutet der steigende Stellenwert der Gesundheit für die Branche insgesamt aber große Wachstumschancen.

fM: Wie wichtig ist aus Ihrer Sicht die gesundheitsrelevante Rolle der Studios im Rahmen der Prävention?

Prof. Dr. Axel Plünnecke: Die Studios spielen eine wichtige Rolle. In den Schulen sollte man zunächst Vergleichsarbeiten durchführen, um dann zusätzlich zielgenau zu fördern.

Analog können die Studios durch eine Neuaufnahme der Anamnese die Effekte des Lockdowns auf die Gesundheitsdaten jedes einzelnen Mitglieds ermitteln und dann gezielte Maßnahmen zur Stärkung bzw. Wiederherstellung des Gesundheitsstatus entwickeln.


Über unseren Interviewpartner

Prof. Dr. Axel Plünnecke, (Jahrgang 1971) hat Volkswirtschaftslehre in Göttingen studiert und an der Technischen Universität in Braunschweig promoviert

Seit 2003 ist er am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln tätig und leitet dort das Kompetenzfeld Bildung, Zuwanderung und Innovation. Darüber hinaus ist Prof. Dr. Plünnecke stellvertretender Fachbereichsleiter Ökonomie an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG).

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